Atomkraftwerk Credit: Pixabay

Energiesysteme: Viel mehr als nur Strom!

Es gibt zwei Energiesysteme: Fossil-atomar und erneuerbar. Die Unterschiede betreffen nicht nur die Technik und die Umwelt, sondern vor allem die gesellschaftlichen Strukturen.

Im Prinzip gibt es zwei Arten, Energie zu erzeugen. Die beiden Energiesysteme unterscheiden sich darin, welche Quelle abgeschöpft wird. Entweder man nutzt fossile Rohstoffe wie Kohle, Gas, Öl oder Uran oder man schöpft die Sonnenenergie ab, indem Wind, direkte Sonne, Wasserkraft zu Energie umgewandelt werden. Auch geothermische Prozesse und die Verwendung von Biomasse gehören zu den erneuerbaren Verfahren. 

Die beiden Techniken unterscheiden sich auf mehreren Ebenen. Eine Methode verursacht schädliche Emissionen für Menschen und Klima, die andere nicht. Eine Produktionsweise verbraucht Rohstoffe, deren Quellen bald erschöpft sein werden, die andere nicht. 

Es gibt noch einen dritten Unterschied, der wenig diskutiert wird, aber in gesellschaftlicher Hinsicht besonders folgenreich ist. Das ist die systemische Dimension. Beide Verfahren nutzen eine bestimmte Technik, aus der sich wirtschaftliche Strukturen ergeben. 

Fossil-atomare Energiesysteme

Im fossil-atomaren Verfahren (zusammen als konventionell bezeichnet) sind diese Strukturen zentralistisch. Das ergibt sich aus der Tatsache, dass die genutzten Quellen nicht überall verfügbar sind. Für die Produktion braucht man eine Kohlegrube, ein Atomkraftwerk oder eine Ölquelle. Es gibt nur wenige Akteure, die dazu in der Lage sind. Eine Handvoll erdölfördernde Länder, einige Dutzend Kohlebarone. 

Die Rohstoffe werden gefördert und zu einem Kraftwerk oder in eine Raffinerie transportiert. Von dort geht es weiter an die Orte des Energieverbrauchs – überallhin. Für die Wege ist eine Infrastruktur notwendig: Züge, Containerschiffe, Pipelines. Im Laufe der Jahrzehnte entstand so ein fein verästeltes Netz, das sich über den ganzen Globus zieht. Von der Kohlegrube bis zur Steckdose hat die Energie einen weiten Weg zurückgelegt. 

Für die Strukturen heißt das: Zentralistisch. 

Energiesysteme der Erneuerbaren

Nun folgt das Kontrastprogramm. Denn ein System der erneuerbaren Energien unterscheidet sich von dem fossil-atomaren Modell nicht nur dadurch, dass sein Rohstoff Sonnenkraft unschädlich und unerschöpflich ist. Sondern – und das ist der springende Punkt – bei der Energiegewinnung und Verbreitung entstehen vollkommen andere Strukturen. 

Die Sonne ist überall verfügbar. Im Prinzip kann jeder auf diese Art Energie erzeugen – sei es auf dem Hausdach, Balkon, Acker oder am Dorfrand. Der Zugang ist nicht beschränkt. Jeder Verbraucher kann sich von dem Energiekonzern unabhängig machen. Die Produktion findet an vielen verstreuten Orten statt. Aus einem geschlossenen Energiesystem wird ein offenes.

Für die Strukturen heißt das: Dezentral.

Ein Systemkonflikt

Allein dieser knappe Überblick deutet an, wie grundverschieden die beiden Energiesysteme funktionieren. Entweder es gibt zahlreiche Erzeuger, die an vielen Orten und auf unterschiedlichen Wegen Energie umwandeln oder die Energieversorgung wird von einem großen Versorger gelenkt. Die Systeme sind daher prinzipiell nicht miteinander vereinbar, sondern stehen in einem Konflikt. Dieser Konflikt zeigt sich an vollkommen unterschiedlichen Verwertungsbedingungen. 

Die Verwertungsbedingungen

Ein zentralistisches Energiesystem ist ein geschlossenes System. Nur wer bezahlt, kann an ihm teilhaben. Das impliziert immer auch den Ausschluss. Da die Energieversorgung so wesentlich ist für das Leben, erhält der monopolistische Versorger große Macht. Umgekehrt befinden sich die Verbraucher in einer großen Abhängigkeit. Entweder sie fügen sich den Bedingungen oder sie bleiben draußen und ohne Zugang zu Energie. Eine Alternative gibt es nicht. 

In diesem geschlossenen System steuert der Konzern nun eine lange Wertschöpfungskette von der Rohstoffquelle bis zum Verbraucher. Auf jeder Stufe dieser Kette wird produziert und ein Gewinn erzielt. Für den Energiekonzern ist das eine lukrative Angelegenheit, denn er hat viele Möglichkeiten, um Profite abzuschöpfen. 

Das zentralistische und fossile System ist demnach gekennzeichnet durch einen ausdifferenzierten Herstellungsprozess in einem geschlossenen System. Ein solches Geschäftsmodell ist schlicht und ergreifend ungeheuer profitabel. Aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive ist glasklar: Die Verwertungsbedingungen für den Konzern sind optimal. 

Auf den Kopf gestellt

Der Herstellungsprozess bei erneuerbaren Energien funktioniert vollkommen anders. Werden Sonne, Wind oder Wasser in Energie umgewandelt, ändert sich der gesamte Ablauf. 

Zunächst einmal sind die Energiequellen nahezu überall und unbegrenzt einsetzbar. Die Sonne schickt ihre Strahlen an jeden Ort, eine Rohstoffquelle ist nicht nötig. Dadurch verliert die Energieproduktion ihre Exklusivität. Jeder kann es tun und sich dadurch unabhängig von dem Konzern machen. Diese Konsequenz ist der Schlüssel zu den politischen Kämpfen gegen die Energiewende: Erneuerbare Energien lassen sich nicht monopolisieren.  

Der zweite wichtige Unterschied liegt im Herstellungsprozess selber. Viele Arbeitsschritte fallen weg, stattdessen rückt die Technik in den Vordergrund. Sind die Anlagen einmal installiert, fließt der Strom, ohne dass Arbeitsstunden eingesetzt werden müssen. Der Rohstoff ist kostenlos und unbegrenzt verfügbar, die Kosten fallen kontinuierlich. 

Dadurch entfallen auch die vielen Stufen, auf denen Gewinne anfielen. Der gesamte Ablauf ist schlicht und ergreifend nicht so lukrativ, weil es viel weniger Anlässe gibt, um eine Rechnung zu stellen. 

Was heißt das für die Gesellschaft?

Diese diametral unterschiedlichen Verwertungsbedingungen in einem wirtschaftlichen Kernbereich können nicht ohne soziale und politische Auswirkungen bleiben. Eine Gesellschaft mit einem von vielen Akteuren getragenen Energiesystem funktioniert anders. Hier folgt eine Aufzählung von Effekten, die lange nicht erschöpfend ist, sondern das Ausmaß der Transformationen andeuten soll. 

(ausführlich dazu: Hermann Scheer (2010): 100 Prozent jetzt! Der Energet(h)ische Imperativ: Wie der vollständige Wechsel zu erneuerbare Energien zu realisieren ist. Verlag Antje Kunstmann: München, S. 61ff.)

  • Das Kapital wird breiter gestreut: Weg von den Wenigen, hin zu den Vielen. 
  • Die Gewinne fließen von den Konzernen zum Mittelstand. 
  • Die Orte der Wertschöpfung ändern sich: Kommunen und Städte profitieren. 
  • Andere rechtliche Formen sind nötig: Kooperative und genossenschaftliche Modelle profitieren. 
  • Das ermöglicht soziale Teilhabe für Einkommensschwache. 
  • Energiekosten sinken. 
  • Für den industriellen Umbau entstehen zahlreiche neue Arbeitsplätze.
  • Arbeitsteilige Wertschöpfungsketten fallen weg, dadurch verändern sich die Arbeitsbedingungen. 

Schon dieses kurze Schlaglicht zeigt: Die Effekte sind revolutionär, denn sie fordern die Macht- und Besitzverhältnisse heraus. In den Verwertungsbedingungen liegt die Antwort, warum die Energiekonzerne sich so vehement gegen die Energiewende sträuben. 

Umgekehrt zeigen die Effekte auch, dass mit der Umstellung auf erneuerbare Energien die Gesellschaft verändert werden kann. Hier liegt ein Hebel, um politische und soziale Transformationen anzustoßen. 

Es geht um viel mehr als nur um Strom. 

Die sozialen Vorteile der solaren Energiewende werden immer deutlicher: Solarstrom ist heute schon Sozialstrom.

Franz Alt

Wer das Energiesystems von heute, das zugeschnitten ist auf die herkömmlichen Energien, meint aufrechterhalten zu können und nur die Energiequellen auswechseln zu können, der irrt. Das geht gar nicht.

Hermann Scheer

Die Energieproduktion wird zum Treibsatz für demokratische Teilhabe.

Klaus Töpfer

Gut ist, was dezentral, recycelbar und schnell anwendbar ist. Weniger gut ist, was zentral oder schmutzig ist oder lange dauert.

Axel Berg

Während sich der Reststrom im Wesentlichen in der Hand von vier Konzernen befindet, stehen hinter den Erneuerbaren rund zwei Millionen Menschen, die aus rund ebenso vielen überwiegend winzigen Erzeugungsanlagen diese Strommenge zusammentragen.

Christfried Lenz