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Die Abhängigkeit von Energiekonzernen

Die Energiewende wird meistens als technisches oder wetterbedingtes Problem diskutiert. Diese Argumentation ist aber vorgeschoben, um von dem eigentlichen Konflikt abzulenken. Im Prinzip geht es um Autonomie oder Abhängigkeit. 

In Debatten über die Energiewende taucht meistens das Argument auf, die Idee einer sauberen Versorgung sei ja schön, aber leider nicht umsetzbar. Wind und Sonne seien so unsicher, dass eine Vollversorgung nicht möglich sei. Zu schlechtes Wetter, zu viele Schwankungen, zu wenige Speicher. 

Aus dieser Perspektive scheitert die Energiewende an ihren technischen oder wetterbedingten Besonderheiten. Der Übergang zu einer sauberen Vollversorgung sei deshalb eine so schwierige Aufgabe, dass er Jahrzehnte in Anspruch nehmen würde. 

Technische Fragen gelten als gelöst

Es gibt reihenweise Erkenntnisse, die in eine andere Richtung weisen: Diverse Studien, in denen Hundertprozentszenarien erarbeitet wurden. Technische Innovationen, wie Sonne und Wind möglichst effizient abgeschöpft werden können. Übersprudelnde Patentanmeldungen für neue Verfahren zu ressourcenschonendem Einsatz. Immer leistungsfähigere Speicher und weiter ausgereifte Sektorenkopplung. 

Eine Nebelkerzendebatte

Doch trotz all dieser ermutigenden Aspekte hängt die Debatte an den vermeintlich unüberwindbaren Herausforderungen der Produktionsweise. Anfang 2020 betonte Bundeskanzlerin Merkel auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, ein Anteil von hundert Prozent erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung sei nicht zu schaffen. Die Pläne der Regierung, innerhalb von zehn Jahren einen Anteil von zwei Dritteln anzustreben, beschrieb sie als ambitioniert. „Das ist für ein Land, in dem die Sonne nicht so häufig scheint und der Wind auch recht unregelmäßig weht, schon recht viel.“

Die Vehemenz, mit der ständige Zweifel an den solaren Möglichkeiten geschürt werden, lässt vermuten: Die technischen und die wetterbedingten Aspekte sind nur vorgeschoben. Das ist eine Nebelkerzendebatte, die von den entscheidenden Fragen ablenken soll.

Die Abhängigkeit von Energiekonzernen

Diese entscheidenden Fragen betreffen – wie so oft – die Verwertungsbedingungen. Mit fossilen Rohstoffen lassen sich nicht nur ungeheure Profite erzielen, sondern auch Abhängigkeitsverhältnisse schaffen. Wer keine andere Wahl hat, als sich in ein zentralisiertes Energiesystem einzuklinken, ist dem jeweiligen Netzbetreiber ausgeliefert. Diese geschlossenen Strukturen sind es, die so lukrative Hierarchien entstehen lassen. Je abhängiger, desto profitabler für den Energiekonzern.

Die gefährliche Dezentralisierung

Aus genau diesem Grund sind die erneuerbaren Energien so bedrohlich für die fossil-atomare Energiewirtschaft. Wer überall Energie abzapfen kann, macht sich unabhängig von den globalen Energiekonzernen. 

„Das Grundmuster des eigentlichen Energiekonflikts hat sich also kaum geändert. Es ging dabei immer nur vordergründig um das Pro oder Contra zu erneuerbaren Energien, im Kern doch stets um die Strukturen der Energieversorgung und die Verfügungsmacht darüber.“

Hermann Scheer (2010): Der energet(h)ische Imperativ. Verlag Antje Kunstmann, München. S.23

Das revolutionäre Potential der Energiestrukturen

Das ist der Kern des Konfliktes: Autonomie oder Abhängigkeit. Erneuerbare Energien ermöglichen dezentrale und dadurch autonome Strukturen der Energieversorgung. Und um diese Option zu verbauen, lenken Energiekonzerne und politische Entscheider die Debatte so gerne auf die detailreich ausgeführten Besonderheiten dieser Produktionsweise. Wer über Dunkelflauten oder Grundlasten diskutiert, muss nicht über die politischen Potentiale einer autonomen Energieversorgung sprechen. 

Die eigentliche Herausforderung einer Energiewende liegt daher weder im Wetter noch in der Technik, sondern in der politischen Sprengkraft ihrer gesellschaftlichen Möglichkeiten.